Werte, Wahn und Wirklichkeit
Autor: Walter Tauber

Wir reden immer nur vom Krieg, von dem einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das ist eine fatale Vereinfachung. Was geschieht ist komplex, mit zahlreichen Fronten, Strategien und Interessen. Wie man das Ganze betrachtet ist ebenso wichtig wie die Prüfung der Fakten. Aber ist das noch möglich? Die Medien unterscheiden kaum noch zwischen Subjektivität und Objektivität, Zwischen Meinung und Nachricht. Sie berichten emotional und von Vorurteilen gefärbt. Wem kann man noch glauben in einer von Propaganda geprägten Welt?

Im Versuch, das Ganze zu verstehen, ein paar Eckpunkte im Überblick:

Die Akteure:

  • Russland ist ein neoliberaler kapitalistischer Staat mit stark mafiösen Elementen in der Wirtschaft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu Milliardären gewordene Unternehmer nennt man “Oligarchen”. Formal eine Demokratie, wird Russland autoritär regiert. Trotzdem zeigen wiederholte Wahlsiege und Umfragen, dass Präsident Vladimir Putin auf starke Unterstützung zählen kann. Immer wieder tauchen Gerüchte auf über Konflikte im Kreml, bevorstehende Putsche oder “schwere Krankheiten” Putins. Belegt wird das nie. Die Zahl der politischen Gefangenen ist in den letzten Jahren gestiegen, von 46 im Jahr 2012 auf heute über 400 (darunter Medienliebling Navalny) (Link). Die Sanktionen des Westens gegen Russland haben zu einer Umorientierung der Wirtschaft Richtung Asien geführt. Der von Annalena Baerbock erhoffte “Ruin Russlands” steht noch aus.
  • Die Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 war völkerrechtswidrig.
  • Die USA bilden einen neoliberalen kapitalistischen Staat, der zu einer Oligarchie verkommen ist (zur Studie). Demokratische Formen werden eingehalten, in der Praxis haben Bürger ohne Vermögen kaum eine Chance, eine signifikante Rolle zu spielen. Wahlkreise werden regelmäßig manipuliert. Die Wahl von George Bush im Jahr 2000 mit Hilfe des Höchsten Gerichts war von zweifelhafter Legalität (Link). Dieses stark konservative Gericht schraubt soziale Errungenschaften wo immer möglich zurück. Die Entscheidung “Citizens United” etwa erlaubte der Wirtschaft, unbegrenzt Geld in politische Kampagnen zu schaufeln (Link). Auch in den USA gibt es politische Gefangene (Link): Leonard Peltier, Anführer des American Indian Movement, sitzt seit 45 Jahren im Haft. Mehrere Dutzend Mitglieder sozialer Bewegung, vornehmlich Schwarze, sind wegen ihrer Aktivitäten in Haft. Dazu kommen 38 Häftlinge im rechtsfreien Raum Guantanamo, gegen die nie Anklage erhoben wurde. Die USA haben mit 2,2 Millionen weltweit die höchste Anzahl von Strafgefangenen und mit 698 pro 100’000 Einwohner die höchste Rate. Proportional stellen Schwarze die meisten Gefangenen. Polizei und Justiz sind durchsetzt von Rassismus. Auch Julian Assange muss als politischer Gefangener der USA betrachtet werden: Britische Gerichte halten ihn rechtswidrig wegen der Auslieferungsgesuche der USA fest.
  • Die USA entfachten völkerrechtswidrige Angriffskriege gegen den Irak (1993), Jugoslawien (1999), Afghanistan (2001 bis 2021) und Libyen (2011). Eine Übersicht über die seit seiner Gründung fast ohne Unterlass kriegerische Geschichte der USA bietet das Buch von Armin Wertz: Die Weltbeherrscher (Westend Verlag, Frankfurt am Main 2015)
  • Die Ukraine ist politisch Opfer und Täter zugleich, seine Bevölkerung vor allem Opfer. Eines der ärmsten Länder Europas und ohne Zweifel das korrupteste, könnte die Ukraine eines der reichsten sein. Fruchtbarer Boden und industrielle Infrastruktur bieten alle Chancen. Kulturell ist es ein “Brückenland” zwischen Russland und Westeuropa. So gab es auch immer zwei politische Richtungen, eine stark nationalistische, anti-russische und eine pluralistische. Widersprüchliche Volksbefragungen und Wahlen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zeigen, wie komplex die Lage ist. Kaum 20 Prozent sehen sich als “ethnisch Russisch” aber für rund 80 Prozent ist Russisch die Hauptsprache. Eine Mehrheit stimmte für die Unabhängigkeit, auch im Osten und Süden. Dort aber bildete sich Widerstand, als sich Nationalisten an der Macht etablierten, einstige Nazi-Führer wie Stepan Bandera zu Helden erklärten und Russisch als Amtssprache verboten. Dem Maidan-Putsch von 2014 folgte eine Anti-Maidan Bewegung, die zur Unabhängigkeitserklärung der Regionalregierung der Krim führte (und dann zur Annektion durch Russland). In Odessa unterdrückten von bekennenden Nazis geführte Schlägertrupps jeglichen Protest, im Osten forderten Luhansk und Donezk Autonomie. Dies führte zum Bürgerkrieg im Donbas. Den besten Überblick bietet Richard Sakwa in seinem Buch Frontline Ukraine (Bloomsbury 2016). Zum von westlichen Medien weitgehend ignorierten Bürgerkrieg: Ulrich Heyden, Der längste Krieg in Europa seit 1945 (Link)
  • Der Satz von Ursula von der Leyen “Mit der Ukraine den Europäischen Traum leben” (Link) ist ohne Zweifel der zynischste Satz in dieser von Doppelmoral und Heuchelei besonders reichen Zeit. Was die “Europäischen Werte” für die Ukraine bislang bedeuten beschreibt Werner Rügemer in den Nachdenkseiten krass: 1, 21 € Mindestlohn und Ausbeutung ohne Ende (Link). Während NGOs auf Bangladesh zeigen, sicher nicht ohne Recht, wird die Armutskette zur Ukraine schlicht geleugnet. Zu einer “demokratischen Wertegemeinschaft” – was immer das auch sein mag – gehört die Ukraine sicher nicht. Oppositionsparteien sind hier verboten, unliebsame Journalisten verfolgt, Gewerkschaften enteignet.
  • Mit der EU haben wir in Europa ein Problem. Die Vorsitzende Ursula von der Leyen gibt vor allem dämliche Sprüche von sich, etwa: “Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben” (Link). “Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager spricht von qualitativ hochwertigen Projekten” und verkauft massive Investitionen in die Rüstung als “gute Nachricht” (Link). Und Josep Borell, der wegen schräger Geschäfte in Spanien dort als Parteichef der Sozialdemokraten und als Unternehmer gescheiterte Auslandsbeauftragte der EU (Link), setzt voll auf Krieg. “Der Krieg werde auf dem Schlachtfeld entschieden, sagte der EU-Außenbeauftragte Borrell im April. Seither ist das Wort “Frieden” aus dem offiziellen Diskurs verschwunden. Selbst von Waffenstillstand spricht man in Brüssel nicht mehr” schreibt der Newsletter Lost in Europe (Link).
  • An vorderster Front dieser kopflosen Politik steht auch Deutschland. Während in Frankreich der “wirtschaftliche Selbstmord Europas” zumindest Debatten-Thema ist (Link) wird deutsche Vogel-Strauß-Politik hier als heldenhaften Widerstand dargestellt. Deutsche Politiker und Medien sind mit einer Begeisterung in den Krieg gezogen, die man in der Bevölkerung nicht findet. Ein “Augusterlebnis” wie 1914 sucht man vergebens (jenen Sommer der angeblichen Kriegsbegeisterung halten Historiker inzwischen für einen Mythos: Link). Bei einer Lobbyistin der Rüstungsindustrie wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) (Link) kann man Kriegstreiberei noch verstehen ohne sie zu billigen. Wie brutal sich die ehemalige Friedenspartei “Bündnis 90 / Die Grünen” von grün zu olivgrün mauserte ist aber nicht nur durch den Einfluss der US-Lobbyorganisation “Atlantikbrücke” (Link) zu erklären. Wie konnte ein angeblicher Parteilinker wie Anton Hofreiter so schnell zum “Panzer-Toni” degenerieren? Da spielen psychologische Elemente mit. Wie bei Frau Strack-Zimmermann könnte es Frust sein, nicht Minister geworden zu sein. Als Politiker mit Aufstiegsträumen muss man sich ein Alleinstellungsmerkmal suchen. Die Hörigkeit der einst progressiven Partei gegenüber der NATO ist heute schwer zu verstehen.
  • Während Außenministerin Annalena Baerbock ihren drohenden Zeigefinger und Schmollmund zu den einzigen Instrumenten ihrer seltsamen Auffassung von Diplomatie gemacht hat, gibt Vizekanzler Robert Habeck unumwunden zu, dass er an diesem Krieg teilnimmt: “Herzlich willkommen im Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz und Unterstützung für die Ukraine.” (Link). Schon im letzten Jahr forderte er in der Ostukraine Waffen für das Land – geschmückt mit Stahlhelm und Schutzweste (Link). Dass damals die Zivilbevölkerung des Donbas dem unerbittlichen Bombardement durch die Ukrainische Armee ausgesetzt war kümmerte den Grünen-Chef offenbar nicht.
  • Mag sein, dass die Lieferung von Waffen nach dem russischen Einmarsch noch rechtlich keine Beteiligung am Krieg war. Anders aber ist die Ausbildung von Soldaten zu bewerten. So der wissenschaftliche Dienst des Bundestages: “Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.” (Link).
  • In der heutigen von Hysterie und Selbstzentriertheit geprägten Kommunikationskultur ist die Rolle der Medien ausschlaggebend. „In Deutschland hat sich ein Bellizismus ausgebreitet, der riskant ist“ meint der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily. „Dabei wird zu wenig darüber nachgedacht: Wie können wir aus dem Konflikt herauskommen?“ (Link). Herauskommen? Nein, die Medien spielen lieber Krieg. Schreibtisch-Generäle und dilettantische, in ihren Redaktionen verschanzte Möchtegern-Strategen haben viel dazu beigetragen, die Politik an die Front zu peitschen. Darauf komme ich noch zurück.

Zwei Brillen:

Jeder Journalist preist sich, objektiv zu sein, ausgewogen und rational. Aber sind wir das wirklich? Ich halte es für eine gefährliche Selbsttäuschung. Denn der Glaube – und es ist eine Glaubensfrage – an eine übergeordnete Objektivität, an die man sich doch nur zu halten hat, verhindert den Blick auf die eigenen Standpunkte, Vorurteile und Schwächen. Und die haben wir alle. Wer vorbehaltlos behauptet, immer nur objektiv zu urteilen, betrügt sich selbst. Ich kann nach bestem Gewissen danach streben, ehrlich zu sein. Also nicht bewußt zu lügen oder zu verdrehen. Aber ob ich dadurch jene Objektivität erreiche, die eine fast heilige Wahrheit garantieren soll, bezweifle ich. Ich muss mir doch immer im klaren sein, wo ich stehe. An was glaube ich? In welchem Kulturkreis lebe ich? Wie wurde ich sozialisiert? Wo liegen bei mir Zu- und Abneigung? Habe ich meinen persönlichen Standpunkt auch berücksichtigt?

Der Krieg in der Ukraine spaltet die Meinungen so sehr, weil er durch zwei verschiedene Brillen gesehen wird. Da gibt es die Sicht des Moralisten, der versucht alles an seiner ethischen Grundhaltung zu messen. So glaubt er oder sie zu erkennen, was gut ist und was böse. Und denkt dann, dass die eigene Haltung Grundlage einer alles überragenden Ethik ist. Also verteidigen diese Moralisten die Guten, zu denen sie natürlich gehören, vor den Bösen, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Und schon stehen sie auf den Barrikaden und werden zu “Panzer-Tonis”.

Leider erlaubt diese Sichtweise nur eine einzige Interpretation. Ist Wladimir Putin als Inbegriff des Bösen einmal definiert – dazu komme ich noch – dann erübrigt sich jegliche weitere Überlegung. Dann heißt es nur noch “Russland ruinieren”. Jede rationale Erwägung wird mit Schaum vor dem Mund zunichte gemacht. Und die Politik vergisst ihr Mandat, für das Wohl des eigenen Volkes zu sorgen, und stürzt sich mit Begeisterung in einen Krieg, der von Tag zu Tag nur noch mehr Leid und noch mehr Ausweglosigkeit bietet.

Ich plädiere hier nicht dafür, die Ethik zu vergessen, ganz im Gegenteil. Aber das, was “die Guten” heute als moralisch richtige Haltung vorgeben ist heuchlerisch und grausam. Ich wiederhole den Satz von Ursula von der Leyen, da er eine der entsetzlichsten Aussagen dieser grauenerregenden Zeit ist: “Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben”. Hat jemand diese Ukrainer, die da so begeistert “für Europa” in den Tod rennen sollen, gefragt? Hat nicht Selensky die Wahlen überraschend gewonnen, weil er Frieden versprach? Der Satz der EU-Vorsitzenden ist sadistisch und roh.

Die rationale Sichtweise ist die der Realpolitik. Mit kühlem Kopf abwägen heißt aber nicht, dass man seine ethischen Grundlagen verlassen und die Menschen vergessen soll. Ich behaupte, dass ich mich nur durch rationales Abwägen wirklich um die Leidtragenden sorgen kann. Moralisierendes Geheul um die Opfer ist in widerwärtiger Weise heuchlerisch. Denen, die da so heulen, geht es nicht um “die Menschen”. Ihnen geht es in erster Linie um sich selbst. Sie prunken mit ihren Gefühlen, hängen sie aus wie ein alter Sowjet-General seine Medaillen, als Beweis für ihre Moral und ihre Güte. Sie haben keine Ahnung von Geopolitik, was bei einer unbedeutenden Moralpredigerin wie Marielouise Beck belanglos, bei Außenministerin Annalena Baerbock aber fatal ist.

Der Historiker Timothy Snyder schreibt in seinem Werk über die Massenmorde von Hitler und Stalin: “Es ist gar nicht klar, dass die Reduktion von Geschichte zu Moral irgendjemanden moralischer macht” (Bloodlands, 2010, s. 399, meine Übersetzung). Das gilt auch für die Politik: Sich selbst aufbauen als Moralapostel gibt den eigenen Aussagen keinen erhöhten Wahrheitsgehalt.

Der blitzartige Einstieg in diesen Krieg hat zum Gegenteil dessen geführt, was die Moralisten angeblich wollen, die Opfer schützen. Der Krieg wird länger, es sterben mehr Menschen, mehr Land wird verwüstet, weltweit steigen Elend und Armut. Realpolitik aber könnte uns Aufschluss darüber geben, wie der Krieg hätte verhindert werden können. Und uns die Gründe jenseits emotionaler Ausbrüche wie “Putin ist ein Mörder” erklären (Link). Sie kann uns auch Wege aus dem Desaster zeigen.

Es ist beschämend zu sehen, wie europäische Politiker – auch die mit Sektglas bewaffneten Deutschen – in ihrer Mediengeilheit dem Betroffenheitstourismus verfallen sind. Manchmal war es ernster, als etwa Boris Johnson mit Durchhalteparolen Selensky davon abhielt, die Gespräche in Istanbul weiter zu führen. Meistens ging es aber nur um Foto Termine, die dem Wähler zuhause zeigen sollten, dass man auch zu “den Guten” gehört.

Die Axiome

Im Wörterbuch wird ein Axiom so definiert: “unbeweisbare aber in sich einsichtige Wahrheit, die daher nicht bewiesen werden muss und allgemein als gültig und richtig anerkannt wird” (Link). Der Begriff gehört in den Bereich der Philosophie oder der Mathematik. Heute ist er ein Grundelement dessen, was Kollegen immer noch Journalismus nennen.

Zu den axiomatischen Grundlagen der Debatte um den Ukrainekrieg gehört in erster Linie die Definition des Feindes:

  • Putin ist böse
  • Putin ist größenwahnsinnig
  • Putin will das sowjetische Reich wieder aufbauen und ganz Europa erobern

Das alles wird mit verbaler Aufrüstung und ohne Beweise verbreitet. Gewiss, es gibt – wie in der Geschichte jeder Großmacht – Schreckliches: Der Krieg in Chechenien war besonders brutal. Hätte er verhindert werden können? Wahrscheinlich. Dass müssen Historiker recherchieren. Aber den Hetzern geht es nicht um historische oder andere Wahrheiten. Ihnen genügt die Aufzählung von Untaten. So wird ein Russischer General zum “Schlächter von Aleppo” obwohl die Russen in der Zerstörung der Stadt kaum eine Rolle gespielt haben ( Link). Längst widerlegte Gasangriffe werden den Russen in die Schuhe geschoben, die von Gorbatschow eingeleitete Friedenspolitik uminterpretiert als imperiales Bestreben, ein Reich von Lissabon bis Wladiwostok zu errichten ( Link).

Axiome als Grundlage der Debatte sind nichts Neues: “Das Wesen der Propaganda ist deshalb die Einfachheit und die Wiederholung,” wußte schon Joseph Goebbels. “Nur wer die Probleme auf die einfachste Formel bringen kann, und den Mut hat, sie auch gegen die Einsprüche der Intellektuellen ewig in dieser vereinfachten Form zu wiederholen, der wird auf die Dauer zu grundlegenden Erfolgen in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung kommen.“ (Joseph Goebbels, Tagebuch, 29. Januar 1942, zitiert nach (Link).

Und genauso geschieht es in den Medien. Möglichst einfach, möglichst repetitiv, damit es sich gut einprägt und eine Diskussion erübrigt. Abweichende Meinungen gelten als russische Propaganda. Wer nicht als Agent Putins abgetan werden kann wird zum Putin-Versteher, einer der dümmsten Begriffe in dieser reichlich dämlichen Zeit. Und es wird noch verstärkt: Liane Bednarz etwa nennt sie auf Twitter “Putin-Appeaser” (Link). Das soll wohl auf 1938 hinweisen, als der britische Premier Neville Chamberlain vor Hitler einknickte. Der Appeasement-Vergleich beweist nur mangelndes Verständnis für Geschichte. Mit ihm blocken die ach! so einfühlsamen Kriegstreiber den Weg zu Verhandlungen (Link).

Es gibt nicht nur direkt auf Putin bezogene Axiome:

  • Die Ukrainer sind Helden, die unsere Werte teilen
  • Das Ganze fing am 24. Februar 2022 an
  • Wir konnten die Völker Osteuropas nicht verhindern, in die NATO zu gehen

Man kann diese Liste leicht verlängern. Steht einmal fest, dass wir “die Guten” sind und die Ukraine “heldenhaft” erübrigt sich eine Debatte über die Menschlichkeit von Waffenlieferungen. Wir verlängern den Krieg? Wir bringen genauso Menschen um wie die Russischen und Ukrainischen Militärs? Nicht doch! Wir helfen dem armen Helden, der bald gewinnen wird! Die Grausamkeit militärischer Unterstützung nehmen wir nicht mehr wahr. Heuchlerisch sitzen wir auf unseren Sofas und gucken zu, wie immer mehr Ukrainer mit unseren Waffen in der Hand umgebracht werden. Sevim Dagdelen, MdB der Linken, kommentierte das sehr treffend auf Twitter (Link)

Auf die Gefahren der “einzigen Geschichte” hat, in anderem Kontext, die Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie meisterhaft hingewiesen (Link). Wer nur eine einzige Erzählung wahrnehmen will, kann der Wirklichkeit nicht näher kommen. Auch die Verkürzung der Geschichte ist ein narratives Mittel, um sie zu manipulieren, erklärt Nachdenkseiten-Gründer Albrecht Müller in seinem Buch “Glaube wenig, Hinterfrage alles, denke selbst “(Link). Das ist heute besonders wichtig: Wer stur festhält an der Sicht, dass alles am 24. Februar 2022 anfing, braucht sich nicht um die Vorgeschichte, um Ursachen oder Folgen zu kümmern. Selbstzufrieden lehnen sich die Kommentatoren in der Gewissheit ihrer moralischen Überlegenheit zurück und treiben die Ukrainer mit Posaunenklang in den Tod.

Und dann werden sie zu Schreibtischgenerälen, die alles über Strategie, Taktik und Waffentechnik zu wissen vorgeben. Ihre phantasievollen Erörterungen untermauern sie mit folgenden Axiomen:

  • Das Russische Heer ist eine “Soldateska”, die nur verlieren kann
  • Putin ist gescheitert mit seiner Absicht, Kiev zu erobern
  • Der Krieg wird brutal gegen die Zivilbevölkerung geführt
  • Die Russen verüben systematisch Kriegsverbrechen
  • Die westlichen Waffen können die Ukraine zum Sieg verhelfen
  • Die Geheimdienste liefern zuverläßige Informationen

Das ist, so ungefähr, der Rahmen in dem im Westen berichtet und “analysiert” wird. Alles, was aus diesem Rahmen fällt, wischen die dilettantischen Geostrategen als Russische Propaganda vom Tisch. Historische Analysen zur Vorgeschichte ignorieren sie und die von Wunschdenken geprägten westlichen Geheimdienstberichte plappern sie mit Begeisterung nach. Vor allem die britischen Nachrichtendienste tun sich hervor als Produzenten von Märchen. Denn das Prinzip Hoffnung dient dazu, den Blick mit Scheuklappen so zu verengen, damit wir noch an einen Sieg der Ukraine glauben können.

So suggerieren sie, dass Waffen aus dem Westen eine Wende herbei bringen, dass die Moral der Russischen Truppen zerbröckelt oder dass den Russen die Munition ausgeht. Professionelle Agenturen unterstützen dabei die Regierung in Kiev (Link). Was die Journalisten dann verbreiten ist Blendwerk und Selbsttäuschung. Keiner will sehen, was von Anfang an klar war: Dies ist ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland. Europa, und vor allem Deutschland, ist zu sehr dem US-Reich hörig, um das zu anerkennen.

Der Krieg

Wie der wirkliche Krieg aussieht, erfährt man von einigen Quellen, die von den Kriegshetzern ignoriert werden. Zwei Schweizer Oberste etwa, die bei der OSZE tätig waren (Link und Link). Berichterstatter aus dem Donbas wie Eva Karene Bartlett (Link) oder Patrick Lancaster (Link) werden von den sogenannten mainstream Medien schlicht ignoriert. Und so hört sich die Rechtfertigung dafür im einzelnen an: “Der Lancaster fährt ja mit den Russen mit”. Als ob die Reporter auf der anderen Seite der Front ganz alleine herumtanzen würden. Die sind nur geschickter im vertuschen ihrer Begleitung. Spätestens seit dem Irak-Krieg gibt es nur noch “embedded”, also von Militärs begleitete, Journalisten an der Front. “Wie man sich bettet so lügt man” lautet ein Kapitel in Gerhard Kromschröders erhellendem Buch über Glanz und Elend des Journalismus (Gerhard Kromschröder, Ach, der Journalismus. Glanz und Elend eines Berufsstandes, Picus, 2006). Und Eva Bartlett hat ja schon das Verbrechen begangen, abseits der Sprachregelungen des Mainstream aus Syrien zu berichten. Das genügt, um ihre ernsthafte Arbeit zu missachten.

Ich bin kein Militär. Außer der Grundausbildung zum Panzergrenadier in der Schweizer Miliz habe ich keine fachlichen Vorkenntnisse. Aber ich bemühe mich über das, was ich lese, nachzudenken, bevor ich nachplappere. Ein paar Punkte von der Front:

Dieser Krieg ist nach Jahrzehnte langen “counter-insurgency” Einsätzen gegen leicht bewaffnete aber letztendlich meist siegreiche Guerilla-Bewegungen, der erste, den man “klassisch” nennen könnte. Es stehen sich zwei vergleichbare Armeen mit schwerer Bewaffnung und festen Positionen gegenüber (Selbstkritische russische militärische Analyse Link ). Russland ist Großmacht wegen seiner Atomwaffen. Und seiner Größe. Es setzt in der Ukraine rund 160’000 Mann ein gegen rund 200’000 ukrainische Soldaten (Schätzungen. Dazu zahlreiche, oft widersprüchliche Quellen dazu im Netz). So kommt es gezwungenermaßen zur Materialschlacht. Und das bestimmt auch die Kriegsziele. Hätte man Russlands Erklärungen ernst oder überhaupt zur Kenntnis genommen, wäre eine bessere Interpretation des Ablaufs möglich gewesen. Wer aber unablässig nur “Mörder” schreit, macht sich selber taub und blind.

Die nicht erfolgte Eroberung von Kiev etwa wurde als großer Sieg der Ukraine dargestellt. War das überhaupt ein Kriegsziel? Nirgendwo wurde das von Putin oder Lawrow erwähnt. Gewiss gab es eine Aufforderung Putins an das Ukrainische Heer, die Waffen zu strecken. “Wenn sich das Heer gegen Kiev erhoben hätte, wären die Russen dort einmarschiert,” glaubt Russland-Kenner Rafael Poch (Persönliches Gespräch mit Rafael Poch-de-Feliu, langjähriger Moskau-Korrespondent von “La Vanguardia” und Autor von La gran transición, Rusia 1985- 2002, Barcelona 2003). Erklärtes Kriegsziel waren aber “Demilitarisierung” – die Zerstörung des Ukrainischen Heeres – und “Denazifizierung” – die Zerstörung der von Nazis gegründeten Milizen. Vor allem ging es darum, den Donbas, also die “Volksrepubliken” Donezk und Luhansk zu beschützen, die seit acht Jahren von der Ukraine bombardiert wurden. Acht Jahre lang hat Russland versucht, die friedliche Lösung für den Donbas durchzusetzen, den 2015 ausgehandelten Vertrag “Minsk II”. Die Ukraine hatte nicht die geringste Absicht, das mit Hilfe von Frankreich und Deutschland ausgehandelte Abkommen zu respektieren, so ex-Präsident Poroschenko (Link). Ebensowenig wollte Selensky sich daran halten (Link). “Minsk II” sollte Autonomie für den Donbas innerhalb der Ukraine sichern. Eine vernünftige Lösung. Dafür ist es jetzt zu spät.

Denn die Ukraine sammelte ihre besten Truppen an der Waffenstillstandslinie und kündigte die Rückeroberung des Donbas an. Neun Tage vor dem russischen Einmarsch nahmen die seit acht Jahren andauernden Bombardierungen des Donbas drastisch zu (Link): Die Ankündigung einer Offensive. So war der Sturm auf Kiev, in dem das russische Heer ein sehr großes Gebiet “eroberte” ohne es überhaupt abzusichern, eine Finte. Tagelang stand eine lange Kolonne von russischen Fahrzeugen entlang einer Straße. Die Bilder auf allen Kanälen wurden genüsslich als russische Unfähigkeit interpretiert, die Heldentaten der Ukrainer im Widerstand hoch gejubelt. Nach fünf Wochen waren die russischen Truppen wieder weg und die “Phase zwei” im Donbas begann.

Zum hysterischen Vokabular der Medien in diesem Krieg gehört das Wort Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung (Link). Das war beim Marsch nach Osten der Nazis ein erklärtes Ziel. Das Wort jetzt wieder zu verwenden ist ein Unding. Aber auch jene, die nicht so weit gingen, von Vernichtungskrieg zu sprechen, betonten immer wieder die zivilen Opfer. Eine Terror-Kampagne gegen die Zivilbevölkerung sollte die Ukraine niederzwingen. Aber auch hierfür gibt es keine Beweise. Die zivilen Opfer habe ich mit Quellenangaben in meinem letzten Beitrag kommentiert. Ich bleibe dabei: Wenn Terror gegen Zivilisten gegen die Bevölkerung ein erklärtes Kriegsziel wäre, sähe der Krieg ganz anders aus.

Wie sieht aber diese “Phase zwei” aus? Worum geht es den Russen? Können wir ihnen einfach mal glauben, wenn sie von der Vernichtung des Ukrainischen Heeres sprechen? Der US-Blogger William Schryver macht einen interessanten Vergleich mit dem amerikanischen Bürgerkrieg (Link). Präsident Abraham Lincoln soll öfters Auseinandersetzungen mit seinen Generälen gehabt haben, weil diese Städte und Festungen erobern wollten. Lincoln bestand aber darauf, dass sein Hauptziel die Zerstörung der Armee seines Gegners General Robert E. Lee sei. Das gelang letztendlich und brachte das Ende des Krieges.

Genauso gehen die Russen dank ihrer überlegenen Artillerie vor. Die seit Jahren befestigten Stellungen der Ukrainer, von wo aus sie die Zivilbevölkerung in Donezk seit 2014 bombardieren, werden ganz langsam zerstört und eingenommen. Das Fehlen sensationeller Vormärsche ermutigt die westlichen Märchenonkel, Hoffnung zu schüren. Die neuen Raketen aus den USA und die deutschen Panzer würden die Russen stoppen. Sie hätten schon unzählige Russische Generäle umgebracht. Der Nachschub für die Russen sei unterbrochen, ihre Moral zerbröckle. Trotzdem marschieren die Russen ganz langsam aber sicher weiter, die Opfer unter den Ukrainischen Truppen werden unerträglich.

Das kümmert Selensky und seine Unterstützer in den USA und in Europa nicht. Sie wollen bis zum letzten Ukrainer kämpfen. Und die Medien heizen das grausame Spiel nur an. Indem sie Hoffnung schüren, stärken sie den Willen zum Widerstand – bei den Schreibtischtätern hier und bei Selensky. Das aber verlängert einen Krieg, der auf dem Schlachtfeld schon weitgehend verloren ist. Hoffnung schüren bedeutet nur, immer mehr Ukrainische Soldaten (und frische Rekruten) in den Fleischwolf am Donbas zu treiben (Link).

Jedesmal, wenn die Medien im Westen einen Sieg der Ukrainer feiern, stellt sich das kurz danach als Falle aus: Der Rückzug um Kharkiv etwa, interpretiert als “Unfähigkeit der Russen, Städte einzunehmen” (Link) war offensichtlich eine Finte, um das rechtsextreme Bataillon Kraken (Link) aus seinen Bunkern am Stadtrand zu locken. Ein US-Militär, der sich auf Twitter CannoneerMarine nennt, zitiert aus einem Artikel der Marine Corps Gazette (Link). Dort wird die Strategie der Russen eingehend analysiert. Der Autor erkennt drei verschiedene Kampagnen. Die Finte im Norden wurde mit relativ wenig Artilleriefeuer geführt, um die Zivilbevölkerung nicht aufzuhetzen. Sie umging größere Ortschaften. Ganz anders im Süden, wo Städte wie Mariupol oder Kherson besetzt wurden. Hier handelt es sich um eine Eroberung. Mit der dritten Kampagne im Osten suchen die Russen das ukrainisch Heer zu zerstören. Die scheinbaren Widersprüche erklärt das Marine Corps Gazette so: “… die Einsätze der fünf ersten Wochen war eine groß angelegte Finte, die zwar direkt wenig Zerstörung brachte, die folgende Zermürbung der ukrainischen Streitkräfte erlaubte…” (meine Übersetzung).

Und darum ging es den Russen, genauso wie sie es angekündigt hatten. Vielleicht sollten sich die zahlreichen Kommentatoren in unseren mainstream Medien mal von professionellen Militärs beraten lassen bevor sie die Propaganda der Geheimdienst-Märchenstunde abschreiben. Oder wurde die Redaktion der Marine Corps Gazette auch von Putin-Verstehern unterwandert?

Menschenrechte

Das ist ein besonders heikles Thema. Auf die Rahmengeschichte, wie der Begriff zum Feigenblatt westlicher Machtpolitik wurde, will ich hier nicht eingehen. Es genüge ein Zitat von Egon Bahr, der schon wusste, dass es “in der internationalen Politik nie um Demokratie oder Menschenrechte geht, es geht um die Interessen von Staaten” (Link).

Im Krieg verüben Soldaten auch Kriegsverbrechen. Dass auf beiden Seiten Böses geschieht ist anzunehmen. Das einseitige Geheul unserer Medien gegen die Russen aber beweist nur, dass sie jegliche journalistische Professionalität verlassen haben. Geheult wird sofort, aber korrigiert nie.

Da gab es etwa den Raketenangriff auf Kramatorsk (Link). Einstimmig urteilte die Presse, die Russen seien einmal mehr besonders grausam. Tage später berichtete das ZDF über die “russische Irreführung” (Link). Doch bald stellte sich heraus, dass die Rakete von Ukrainischen Stellungen abgefeuert wurde. Dieser Raketentyp hat zwei Teile, die Absturzstelle des Boosters erlaubt es, genau festzustellen, woher sie kam (Link). Eine Korrektur sucht man in den Medien vergeblich.

Im Juli wurden “zivile Gebäude” in Winnyzia, 250 Kilometer südwestlich von Kiev von Raketen getroffen. In Wirklichkeit war das Ziel ein Gebäude des Heeres, in dem eine Konferenz von hochrangigen ukrainischen Militärs mit internationalen Waffenhändlern stattfand (Link). Am nächsten Tag warnte die US-Botschaft ihr Personal vor Treffen “außer Haus” und Selensky schasste zwei hohe für den Geheimdienst zuständige Mitarbeiter.

Nachrichten über angebliche Kriegsverbrechen werden so hysterisch hochgepeitscht, dass der Begriff für einen so ernsthaften Tatbestand zu verwässern droht. Es ist leider normal im Häuserkampf, dass sich Soldaten in fest gebauten oder höher gelegenen Gebäuden verschanzen. Dazu gehören auch Schulen und Krankenhäuser, die dabei geräumt werden sollten. Das Krankenhaus in Mariupol zum Beispiel, wurde bombardiert, weil sich dort Truppen eingenistet hatten. Wäre es voll im Betrieb gewesen, hätte es mehr Opfer gegeben als ein Toter und zwei Verwundete.

Butscha ist ein besonders schlimmer Fall. Zweifel an der offiziellen Greuelgeschichte sind angebracht. Warum erklärte der Bürgermeister lächelnd vor einer leeren Straße, die Russen seien weg? Warum dauerte es drei Tage, bis die westlichen Medien dorthin gebracht wurden? Wo waren die Einwohner, um sich um die Leichen ihrer angeblichen Mitbürger zu kümmern? Eine Aktion der mit Hakenkreuzen tätowierten Azov Soldaten scheint immer wahrscheinlicher zu sein. Zumal ein Zeuge gesehen hat, wie in einem LKW herbeigeführte Leichen in Butscha ausgeladen wurden (Link). Der französische Militär erklärt, dort gewesen zu sein, um Medikamente zu liefern. Er hat auch gesehen, wie Ukrainische Soldaten russischen Kriegsgefangenen in die Beine schossen. Dann wurde er weggeschickt, hörte aber noch Schüsse. Er geht davon aus, dass die Gefangenen exekutiert wurden.

Dass nicht nur eine Seite verbrecherisch vorgehen kann in diesem Krieg dringt nun allmählich in die Öffentlichkeit vor: Der Bericht von Amnesty International bestätigt, was schon viele vor Ort berichtet hatten: das Heer der Ukraine baut Artillerie-Stellungen zwischen Wohnhäusern auf und verschanzt sich in Schulen. (Link). Auch Die Welt hatte darüber berichtet (Link).

Noch sind das leise Töne im kriegerischen Gegröle. Die Kriegstreiber in den Medien beherrschen weiterhin die veröffentlichte Meinung. Traurig ist der professionelle Niedergang einer bislang hoch geachteten Zeitung wie die New York Times. Einst hat sie das Azov-Batallon als Nazi Einheit definiert. Jetzt widmet das Blatt den mit Hakenkreuzen und SS-Runen tätowierten Soldaten für ihre Niederlage in Mariupol sogar ein Heldenepos (Link).

Der Mainstream beschreibt Azov jetzt nur noch als „rechtsextrem“ oder „vormals rechtsextrem“. Zensur der Chefetage oder Selbstzensur der Journalisten?

Irgendwann muss es nach den Krieg eine “Wahrheitskommission” geben, um die Verbrechen aufzuklären. Wie soll man denn heute eine Beurteilung schreiben? Die Beflissenheit und Selbstsicherheit, mit der unsere Medien über angebliche russische Verbrechen berichten, ist mehr als befremdlich. Zumal sie über die andere Seite meist schweigen, denn dort stehen die Guten, die Demokraten, hinter denen wir geschlossen stehen. Ob Frau Baerbock die Videos gesehen hat von russisch-sprechenden Bürgern, die mit nackten Hintern an Straßenlaternen gebunden und verhauen werden? Die Guten? Oder die grausamen Blattminen, die zu tausenden über die Zivilbevölkerung in der Stadt Donezk ausgestreut werden? Solche harmlos aussehenden kleinen Minen töten Kinder und reißen Erwachsenen die Füße weg.

Auswege?

Die Geschichte wird irgendwann mal feststellen, wo die Wahrheit lag. Jetzt sollte uns vor allem die Suche nach einem Ausweg beschäftigen. Waffenstillstand ist auf dem Weg zum Frieden immer der erste Schritt. Das fordert eine Reihe von Akademikern, Schriftstellern und Journalisten. Auch ein General a.D. ist beim Appell “Waffenstillstand jetzt!” dabei (Link). Die Reaktionen darauf zeigen einmal mehr, wie primitiv die Debatte geworden ist. Kommentatoren werfen mit den üblichen Axiomen um sich, weisen etwa auf Putins “schamlosen Imperialismus “ hin (Link) und wissen ganz selbstsicher alles viel besser. Solche Reaktionen sind nicht nur falsch und journalistisch unterster Klasse. Sie sind widerlich in ihrem Bestreben, noch mehr Ukrainer in den Tod zu treiben!

Diplomatie ist nicht mehr an der Tagesordnung. Das ist nicht neu. Der Niedergang dieser Kunst fing nicht erst mit der in trauriger Weise überforderten Annalena Baerbock an. Richard Sakwa beklagt in seinem 2015 erschienen Buch Frontline Ukraine die “Welten auf Kollisionskurs”. “Vorbote der Ukraine-Krise und der wirtschaftlichen Sanktionen war eine ideologische und politische Delegimitation der Russischen Machthaber” so Sakwa. Auf diese Weise wurden “die traditionellen Gepflogenheiten internationaler Beziehungen zerstört und der schon lange klare Niedergang der Diplomatie als Dialog zwischen gleichen Partnern beschleunigt” (op cit. s. 183, meine Übersetzung).

Die Versuchung liegt nahe, Politikern in wichtiger Stellung Dummheit vorzuwerfen, wenn man eine andere Meinung vertritt. Annalena Baerbock ist sicher nicht dumm. Aber brandgefährlich. Sie mag sich ihre Rolle als Dienerin des US-Imperiums nicht eingestehen. Also schwingt sie sich auf zur Partnerin. Auf der Barrikade stehen ist ihr offenbar lieber als dahinter kauern. Auch wenn das zum Atomkrieg führen kann (Link und Link). Über einen „begrenzten Atomkrieg“ denken schon einige nach im Pentagon (Link). Die Folgen jeden atomaren Schlagabtausches wären aber global und katastrophal (Link).

Solange die arroganten Meinungsmacher und Politiker ihre eigene Bedeutung daran messen, wie aggressiv sie gegen Putin sein können – und dabei ihre eigene Unterwürfigkeit gegenüber Washington ausblenden – so lange werden die Ukrainer bluten müssen.

Und je länger dies dauert, umso mehr erreichen die USA ihr Kriegsziel ”Russland und Europa schwächen”. Und umso mehr werden die Staaten, in denen zwei Drittel der Menschheit leben, erkennen, dass sie besser ohne “den Westen” auskommen. Kanzler Olaf Scholz hat das bedeutsame Wort “Zeitenwende” stark unterfordert. Von der wirklichen Zeitenwende hat er keine Ahnung.